Existenz von Berufsbetreuer*innen bedroht

Der Referentenentwurf zur Reform der Betreuervergütung muss unverzüglich in vollem Umfang zurückgenommen werden.

BdB fordert Überarbeitung

„Das geplan­te Gesetz zur Reform der Betreu­er­ver­gü­tung ist eine Kata­stro­phe. In vie­len Fäl­len wür­de es zu einer rea­len Ein­kom­mens­min­de­rung füh­ren – statt zu der ver­spro­che­nen Ver­gü­tungs­er­hö­hung. Das sehen vie­le Berufsbetreuer*innen und Betreu­ungs­ver­ei­ne als unmit­tel­bar exis­tenz­be­dro­hend an“, kri­ti­siert der BdB-Vor­sit­zen­de Thors­ten Becker den Refe­ren­ten­ent­wurf des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums der Jus­tiz (BMJ), der am 16. Sep­tem­ber ver­öf­fent­licht wur­de.

Fassungslosigkeit bei Berufsbetreuer*innen

Der Gesetz­ent­wurf hat unter Berufsbetreuer*innen einen Sturm der Ent­rüs­tung aus­ge­löst. Thors­ten Becker: „Uns errei­chen in die­sen Tagen täg­lich zahl­rei­che wüten­de Zuschrif­ten unse­rer Mit­glie­der. Sie sind zurecht scho­ckiert und empört, weil sie mit deut­li­chen Ein­kom­mens­ver­lus­ten rech­nen müs­sen. Soll­te die­ser Ent­wurf Gesetz wer­den, so ist das Mas­sen­ster­ben von Ver­ei­nen und selbst­stän­di­gen Berufsbetreuer*innen pro­gram­miert.“

Forderung nach Rücknahme und Überarbeitung

Der BdB for­dert daher vom BMJ die sofor­ti­ge Rück­nah­me und Über­ar­bei­tung des Refe­ren­ten­ent­wurfs: „Es muss zu einem Ver­gü­tungs­sys­tem kom­men, wie es unser Ver­band seit lan­gem for­dert – ein Sys­tem, das kon­se­quent ver­ein­facht und leis­tungs­ge­recht ist. Unter kei­nen Umstän­den darf es zu Ein­kom­mens­ein­bu­ßen kom­men“, sagt Thors­ten Becker.

Realitätsferne Berechnungen

Haupt­kri­tik­punkt: Die Pau­scha­len für mit­tel­lo­se Klient*innen, die zu Hau­se leben, sol­len deut­lich abge­senkt wer­den. „Das ist eine Kata­stro­phe, die zu rea­len Ein­kom­mens­ver­lus­ten führt“, sagt Thors­ten Becker. Der Grund: „Mehr als 80 Pro­zent unse­rer Klient*innen sind mit­tel­los. Wir betreu­en haupt­säch­lich Sozialleistungsempfänger*innen, Obdach­lo­se, psy­chisch Kran­ke, Dro­gen­ab­hän­gi­ge, Alte und Demen­te – die Schwächs­ten in unse­rer Gesell­schaft.“

Das bele­gen Modell­rech­nun­gen, die der BdB von sei­nen Mit­glie­dern erhal­ten hat und eine Modell­rech­nung, die das Insti­tut für freie Beru­fe (IFB) im Auf­trag des BdB für einen Durch­schnitts­be­treu­er durch­ge­führt hat.

Die Pau­scha­le für nicht mit­tel­lo­se Klient*innen soll um 24 Pro­zent erhöht wer­den. „Doch sind Klient*innen, die selbst zah­len, eher die Aus­nah­me als die Regel“, erläu­tert Thors­ten Becker: „Nur rund 16 Pro­zent aller Klient*innen sind nicht mit­tel­los. Wir fra­gen uns, war­um unse­re Leis­tun­gen für mit­tel­lo­se Men­schen weni­ger wert sein sol­len, als für Selbst­zah­len­de. Wir for­dern, dass die Unter­schei­dung auf­ge­ho­ben wird. Für die meis­ten Berufsbetreuer*innen wird sich der Beruf unter den geplan­ten Rah­men­be­din­gun­gen nicht mehr rech­nen. Wir kön­nen ein­pa­cken!“

Grandios gescheitert

Das BMJ hat sich im Inter­es­se einer Eini­gung vor­ab mit den Län­dern über die Reform ver­stän­digt. Thors­ten Becker: „Das war ehren­wert, doch poli­tisch zeigt der Ent­wurf an ver­schie­de­nen Stel­len, dass die­ser Ver­such gran­di­os geschei­tert ist. Die Län­der haben durch­ge­setzt, dass die Kate­go­rie mittellos/vermögend bei­be­hal­ten wird. Das natür­lich aus dem nahe­lie­gen­den Grund, weil die Mit­tel­lo­sen von den Län­dern bezahlt wer­den, die nicht Mit­tel­lo­sen zah­len selbst. So machen sich die Län­der einen schlan­ken Fuß: Bei Lich­te bese­hen, sol­len es die­se Men­schen schul­tern, dass Berufsbetreuer*innen bes­ser ver­gü­tet wer­den. Im Grun­de eine Frech­heit, denn als nicht mit­tel­los bzw. ver­mö­gend gilt, wer gera­de mal mehr als 10.000 Euro besitzt.“

Bun­des­mi­nis­te­ri­um der Jus­tiz © Shut­ter­stock

Der BdB for­dert die Lan­des­jus­tiz­ver­wal­tun­gen auf, ihre Blo­cka­de­hal­tung auf­zu­ge­ben. Thors­ten Becker: „Die Län­der müs­sen aner­ken­nen, dass die staat­li­che Für­sor­ge für Men­schen mit Unter­stüt­zungs­be­darf sicher­ge­stellt wer­den muss. Und zwar in Form der recht­li­chen Betreu­ung. Es ist eine Pflicht­auf­ga­be, die ange­mes­sen finan­zi­ell aus­ge­stat­tet wer­den muss.

Gesetzesziel verfehlt

Das Ziel der Reform ist es, die Betreu­er­ver­gü­tung grund­le­gend neu zu struk­tu­rie­ren, das gesam­te Sys­tem zu ver­ein­fa­chen, den büro­kra­ti­schen Auf­wand zu redu­zie­ren UND das Ver­gü­tungs­ni­veau für Berufsbetreuer*innen an die aktu­el­le Tarif­ent­wick­lung anzu­pas­sen. Thors­ten Becker resü­miert: „In der Prä­am­bel wer­den die Zie­le der Reform prä­zi­se und aus unse­rer Sicht voll­kom­men rich­tig benannt. Doch die Umset­zung führt zum Gegen­teil. Das Geset­zes­ziel wird deut­lich ver­fehlt. Da ist der aktu­el­le Sta­tus quo noch bes­ser.“

Falsche Berechnungsgrundlage

Als Grund­la­ge für die Berech­nun­gen der Pau­scha­len dient der fest­an­ge­stell­te Ver­eins­be­treu­er. Das Gros der Berufsbetreuer*innen arbei­tet jedoch selbst­stän­dig. Thors­ten Becker: „Wir haben Kos­ten: Büro­mie­ten, Mit­ar­bei­ten­de, Aus­stat­tung, Soft­ware, Ver­si­che­run­gen, um nur eini­ge Pos­ten zu nen­nen. Auch unse­re Alters­vor­sor­ge finan­zie­ren wir selbst­ver­ständ­lich selbst. Auch das zeigt, wie rea­li­täts­fern im BMJ gedacht wird.“

Im Vor­wort heißt es, das Gesetz wol­le dafür sor­gen, dass der Beruf attrak­ti­ver wird. Thors­ten Becker: „Aus unse­rer Sicht ist der Ent­wurf geeig­net, den Beruf zu ver­nich­ten. Damit besteht die Gefahr, dass die Errun­gen­schaf­ten von 30 Jah­ren Betreu­ungs­recht  wie­der zurück­ge­fah­ren wer­den.“

Mehr Informationen

www.berufsbetreuung.de | BdB-Ver­gü­tungs­kam­pa­gne | Lin­ke­din

Über den BdB

Der Bun­des­ver­band der Berufsbetreuer*innen (BdB) ist mit 8.000 Mit­glie­dern die größ­te Inter­es­sen­ver­tre­tung des Berufs­stan­des. Er ist die kol­le­gia­le Hei­mat sei­ner Mit­glie­der und macht Poli­tik für ihre Inter­es­sen. Er stärkt sei­ne Mit­glie­der dar­in, Men­schen mit Betreu­ungs­be­darf pro­fes­sio­nell zu unter­stüt­zen, ein Leben nach eige­nen Wün­schen und Vor­stel­lun­gen zu füh­ren – selbst­be­stimmt und geschützt.

Der BdB wur­de 1994 gegrün­det – zwei Jah­re, nach­dem mit dem Betreu­ungs­ge­setz Kon­zep­te wie „Ent­mün­di­gung“ und „Vor­mund­schaft“ für Erwach­se­ne abge­löst wur­den. Bereits damals lei­te­te ihn der Gedan­ke, Men­schen mit Betreu­ungs­be­darf in Deutsch­land pro­fes­sio­nell zu unter­stüt­zen, so dass sie ein mög­lichst selbst­be­stimm­tes Leben füh­ren kön­nen.
Mit sei­ner fach­li­chen Exper­ti­se und viel Idea­lis­mus setz­te sich der Ver­band bereits früh­zei­tig für mehr gesell­schaft­li­che Teil­ha­be betreu­ter Per­so­nen ein, wie sie erst spä­ter gesetz­lich ver­an­kert wur­de.

Han­deln und Ent­schei­dun­gen der BdB-Mit­glie­der basie­ren auf dem­sel­ben huma­nis­ti­schen Men­schen­bild, das auch der UN-Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on von 1948 und der UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­ti­on von 2006 zugrun­de liegt.

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